GroKo – Ja oder Nein?

Ich habe das Sondierungspapier durchgearbeitet und an verschiedenen Beratungen und Gesprächen dazu teilgenommen. Außerdem haben mich zahlreiche Rückmeldungen aus der Partei und von weiteren Wählerinnen und Wählern erreicht.

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Ich finde, dass in den Sondierungen viel Positives vereinbart wurde. Vieles davon wurde aber auch nicht explizit gegen die Union erstritten.

In dem Papier ist zunächst eine klare Linie zur Unterstützung von Familie und Kindern aufgezeigt: So sollen erstmalig Bundesmittel für die Beitragsfreiheit bereitgestellt werden. Außerdem sollen das Kindergeld und der Kinderzuschlag erhöht und schrittweise in eine gemeinsame Leistung zusammengeführt werden. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Schule soll kommen und die Mittel im Bildungs- und Teilhabepaket sollen deutlich erhöht werden. Die Verhandler bekennen sich zu der von uns lange geforderten Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz, und es sollen Bundesmittel für die Qualitätssteigerung in Kitas bereit gestellt werden. Auch für junge Menschen sind einige wenige Fortschritte im Papier enthalten: So soll es eine Bafög-Erhöhung geben, und es sollen weitere Schritte zur Abschaffung von Ausbildungsgebühren unternommen werden.

Im Sondierungspapier wird ein klares Bekenntnis zur gesetzlichen Verantwortung für ein Mindestmaß an Auskommen formuliert: Es soll zusätzlich zum Mindestlohn auch eine Mindestausbildungsvergütung und endlich auch eine Mindestrente geben.

Fortschritte bei der Gleichstellung von Mann und Frau sind leider nur minimal vereinbart worden: Das Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit soll endlich kommen und das sogar auch bei Betrieben mit weniger Mitarbeitenden, als in der letzten Koalition vereinbart. Außerdem ist ein zu begrüßender „gesicherter Zugang“ zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen im Papier enthalten.

Im Papier wird sich deutlich zu Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitslose bekannt: Es soll z. B. die Mitbestimmung ausgeweitet werden, den Einstieg in die von uns lange geforderte Arbeitsversicherung geben, und es sollen endlich wieder Mittel für einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden.

Positiv im Bereich Gesundheit und Pflege ist die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung und dass es mehr Personal in diesen Bereichen geben soll.

Auch in anderen Bereichen wurden gute Dinge vereinbart. Allerdings hat sich in wesentlichen Punkten auch die CDU durchgesetzt: Es wird z. B. eine steuerliche Entlastung durch die schrittweise Abschaffung des Soli geben und es wird keine Erhöhung der Steuern für Besserverdienende, Reiche, auf Vermögen und hohe Erbschaften geben. Dies halte ich verteilungspolitisch für fatal. Auch die CSU hat sich in für sie wichtigen Punkten durchsetzen können: Es wird weiterhin der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige eingeschränkt. Dafür gibt es keinen Anlass und keine Begründung. Ich finde, das ist integrations-, gleichstellungs-, familien- u. menschenrechtspolitisch falsch. Letztlich hat sich die Union auch mit ihrem klaren Nein zur Bürgerversicherung durchgesetzt. Dadurch, dass wir hier nicht mal einen Einstieg vereinbaren konnten, haben wir bei unserem wichtigsten Punkt nicht mal einen Teilerfolg erzielen können.

Die mitunter geschürte Hoffnung, man könne in wesentlichen Punkten in den Koalitionsverhandlungen noch „nachbessern“, halte ich für unrealistisch. Die heftigen und zum Teil unverschämten Reaktionen aus der Union sprechen dabei Bände.

Natürlich sind Koalitionen immer nur mit Kompromissen möglich, und natürlich ist es auch klar, dass nicht eine Partei alles durchsetzen kann. Und eines muss auch klar sein: Wir dürfen nicht mehr von einer Großen Koalition verlangen, als in unserem Wahlprogramm steht. Gerade daher ist eine Abwägung aller Argumente wichtig.

Zu diesen Argumenten zähle ich aber auch jene, die wir als SPD direkt nach der Wahl vorgebracht haben, um unser Nein zu einer weiteren Großen Koalition zu begründen. Wir haben damals gesagt, dass wir als Große Koalition keinen Auftrag der Wählerinnen und Wähler zu einem „Weiter so“ bekommen haben.

Aus meiner Sicht bestehen die grundsätzlichen Gründe, die gegen eine erneute Koalition mit der Union sprechen, fort. Diese Gründe haben nichts mit Befindlichkeiten, mit Schmollerei, Drückebergerei oder Parteiegoismus zu tun – wie mancher Kommentator der Öffentlichkeit weismachen will. Es ist noch nicht lange her, da war es Allgemeingut, dass eine Koalition zwischen den beiden größten Parteien CDU und SPD nur in Ausnahmesituationen gebildet werden dürfe. Die erste Große Koalition von 1966 bis 1969 galt damals nur als Übergangslösung. Bei der Bundestagswahl 2005 verlor die Rot-Grüne Bundesregierung die Mehrheit, und da keine Partei mit der neu ins Parlament gelangten Linkspartei koalieren wollte, und alle weiteren Sondierungen erfolglos waren, kam es zur zweiten „Großen Koalition“. Das müsse aber eine Ausnahme bleiben, war die damals weit verbreitete Meinung dazu. Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die SPD 11,2 Prozent der Stimmen, und wir erhielten danach die – wie nicht nur ich finde – bislang schlechteste Bundesregierung aller Zeiten aus Union und FDP. Ich will hier nicht mit der langen Liste von Fehlentscheidungen und mit den Geschichten aus der unsäglichen Schlussphase dieser Koalition langweilen. Die gegenseitigen Beschimpfungen sind ja Legende, am Ende flog die FDP aus dem Deutschen Bundestag.

Es folgte die dritte „Große Koalition“ – nicht zuletzt auf massiven öffentlichen Druck – obwohl theoretisch auch eine rot-rot-grüne Koalition möglich gewesen wäre. Aus heutiger Sicht vielleicht ein Fehler. Wie ihr wisst, habe ich persönlich aber schon sehr bald dafür geworben, auch eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht auszuschließen.

Es erstaunt mich die Selbstverständlichkeit, mit der gefordert wird, dass die beiden größten Fraktionen eine Regierungskoalition bilden. Ich sehe die Aufgabe der zweitstärksten Partei darin, die Rolle der Oppositionsführung wahrzunehmen, die Bundesregierung zu kontrollieren, einen politischen Gegenentwurf zu entwickeln und sich bei der nächsten Wahl als Alternative zu präsentieren. So ist unser parlamentarisches System angelegt, so funktioniert es, und nur so gibt es eine lebendige Demokratie. Unsere Wählerstimmen liefen also nicht ins Leere, sondern würden mich und die SPD dabei unterstützen, eine starke sozialdemokratische Oppositionsarbeit zu leisten.

Nahezu alle Politikwissenschaftler machen – nicht nur, aber in hohem Maße – die Bildung von Großen Koalitionen, die scheinbare inhaltliche Angleichung der großen Parteien und den Mangel an öffentlicher politischer Auseinandersetzung verantwortlich für wachsendes Desinteresse der Bürgerinnen und Bürger an der Politik, für den Rückgang der Wahlbeteiligung, für Frust und Überdruss und für die Stärkung der politischen Ränder. Eine Koalition zwischen Union und SPD würde bedeuten, dass die AfD als drittstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag die Oppositionsführung übernähme und sich als Alternative zu den Parteien präsentieren könnte, die ja scheinbar alle irgendwie miteinander regieren können. Das will ich ausdrücklich nicht! Außerdem zeigen die Zahlen, dass die SPD seit 2005 ungefähr ein Viertel ihrer Wähler verloren hat (von 16,2 auf 12,4 Millionen). Im gleichen Zeitraum hat die SPD 160.000 Mitglieder verloren (von 600.000 auf 440.000). Das rüttelt am Status der SPD als schlagkräftige Volkspartei.

Die SPD definiert sich nicht nur über ihre Politik und ihre Mandatsträgerinnen und Mandatsräger im Bund und in den Ländern, sondern auch (manche sagen vor allem) über ihre Mitgliederbasis und die vielen tausend Männer und Frauen, die in den Gemeinden und Kreistagen ehrenamtlich Kommunalpolitik machen und so unser demokratisches Gemeinwesen lebendig halten. Bei uns im Kreis Rendsburg-Eckernförde sind das wohl mindestens ein Drittel unserer 2.100 Mitglieder, die sich ehrenamtlich, bei hohem zeitlichen Aufwand, für unser Gemeinwesen engagiert. Mein Eindruck aus den Gesprächen, die ich in den letzten Wochen geführt habe: Diese Genossinnen und Genossen wollen mehrheitlich nicht, dass die SPD in einer Großen Koalition Politik macht. Sie möchten sich als SPD-Vertreterinnen und SPD-Vertreter vor Ort nicht für die Politik von Frau Merkel, von Herrn de Maizière, von Herrn Dobrindt oder von Herrn Schmidt verantwortlich machen lassen.

Das Grundgesetz zeigt uns viele Möglichkeiten auf, wie es hätte weitergehen können. Ich finde nicht, dass diese Möglichkeiten ausreichend eine Rolle bei den Gesprächen zur Regierungsarbeit gespielt haben. Über einige Möglichkeiten, z. B. eine Minderheitsregierung oder eine geschäftsführende Bundesregierung für einen längeren Zeitraum, wurde anscheinend gar nicht verhandelt.

Es kommt uns immer auf Inhalte an, aber zu denen zähle ich auch die demokratiepolitischen Grundsätze.

Die Ergebnisse der Sondierungen rechtfertigen nach meiner Auffassung keine Große Koalition. Aktuell geht es jedoch noch gar nicht um einen Koalitionsvertrag. Ich bin am Sonntag kein Delegierter. Ich würde es aber begrüßen, wenn der Parteitag beschließen würde, trotzdem die Verhandlungen mit der Union aufzunehmen. Über die Frage, ob die SPD in eine weitere Koalition mit der Union eintritt, wird in der SPD heftig gestritten. Ich finde es daher richtig, dass am Ende die Mitglieder über eine mögliche Koalition entscheiden. Bei der Tragweite dieser Frage ist es der demokratischste Weg zu einer Entscheidung zu kommen, jedem einzelnen Mitglied eine Stimme zu geben. Ich glaube auch, dass eine Entscheidung durch die Mitglieder besser geeignet ist, die Grundlage dafür zu geben die sich streitenden Lager wieder zusammenzuführen.