So ist es auch nur dem Gesamtpaket geschuldet, dass das Ausreisegesetz Teil des Ganzen ist. Als Einzelgesetz ist es – selbst nachdem uns deutliche „Entschärfungen“ gelungen sind – aus sozialdemokratischer Sicht nicht zustimmungsfähig! Doch unsere Demokratie, und die Große Koalition umso mehr, lebt von Kompromissen.
Meine Entscheidung, für diese Gesetze zu stimmen, ergibt sich maßgeblich aus zwei Punkten:
1. Im Koalitionsvertrag – dem auch die SPD-Mitglieder zu zwei Dritteln zugestimmt haben – bekennen wir uns unter der Überschrift „Zuwanderung steuern – Integration fördern und unterstützen“ zu rechtlichen und humanitären Verpflichtungen in der Flüchtlingspolitik. Diese werden wir nun mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, dem Entwurf eines Gesetzes zur Entfristung des Integrationsgesetzes, dem Entwurf eines Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetzes, dem Entwurf eines Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetzes, dem Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, dem Entwurf eines Gesetzes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung und dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) erfüllen.
Aus meiner Sicht ist es gelungen, ein Gesamtpaket zu schnüren, das die richtige Balance aus humanitärem Asylrecht, modernem Einwanderungsrecht und gelingender Integration findet. Wir geben denjenigen Schutz, die Schutz brauchen und eröffnen ihnen frühzeitig und umfassend den Zugang zu Sprach- und Integrationskursen und zum Arbeitsmarkt.
Die Kritikpunkte von Verbänden, aber auch zahlreichen Einzelpersonen haben wir in unsere Debatte einfließen lassen. Deswegen haben wir uns in den Verhandlungen gegen weitreichende und umfassende Verschlechterungen und Verschärfungen gewehrt – mit Erfolg. Bereits im Kabinett haben die SPD geführten Ressorts – allen voran die Bundesjustizministerin Katarina Barley – deutliche Verbesserungen am Geordnete-Rückkehr-Gesetz erreicht, so dass die besonders problematischen Regelungsteile vom ursprünglichen Entwurf von Bundesinnenminister Seehofer entfallen sind. So haben wir unter anderem die Pläne des Bundesinnenministeriums, Flüchtlingshelfer*innen, die Informationen zu Abschiebungen weitergeben, zu kriminalisieren, erfolgreich verhindert. Die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Justizvollzugsanstalten wird aus meiner Sicht zu Recht kritisiert! Ich kann jedoch mitgehen, dass es sich um eine befristete Aussetzung des Trennungsgebotes handelt und lediglich die Möglichkeit einer gemeinsamen Unterbringung auf einem Grundstück geschaffen wird. Eine getrennte Unterbringung der Abschiebungsgefangenen von Strafgefangenen innerhalb von Haftanstalten ist vorgeschrieben. Auch die Prüfung und Entscheidung, ob eine Unterbringung in einer Haftanstalt in einem konkreten Einzelfall, beispielsweise bei schutzbedürftigen Gruppen, zumutbar beziehungsweise zulässig ist, muss weiterhin erfolgen. In der Praxis sind die Bundesländer gefragt. Gegenwärtig sind die Justizminister*innen aller Bundesländer skeptisch, dass die gemeinsame Unterbringung von Abschiebungsgefangenen und Strafgefangenen überhaupt zur Umsetzung kommen wird.
Ich baue darauf, dass die Bundesländer Voraussetzungen schaffen, die eine angemessene Unterbringung nach sich zieht, die beispielsweise Familien ausreichend Privatsphäre ermöglicht.
Wichtig ist: Es werden klare Regeln gesetzt, wer bleiben kann – und wer nicht. Wer nicht als Asylsuchender anerkannt wird und unter keinen Umständen ein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen. Nur so kann – und nur so wird – die Aufnahme Schutzsuchender in der breiten Bevölkerung dauerhaft Akzeptanz und Anerkennung finden.
Für besonders zentral halte ich das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz. Denn Arbeit bedeutet Teilhabe und die Möglichkeit, selbstbestimmt für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Die Voraussetzung dafür sind eine gute Ausbildung und gute Deutschkenntnisse. Mit diesem Gesetz, schaffen wir deshalb eine bessere Ausbildungsförderung für alle Ausländer und Ausländerinnen. Künftig wird der Zugang zur Förderung von Berufsausbildungsvorbereitung und Berufsausbildung für Ausländer und Ausländerinnen weitgehend unabhängig von aufenthaltsrechtlichen Vorgaben geregelt. Des Weiteren können Geflüchteten, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt in Deutschland zu erwarten ist, bestimmte Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (z. B. Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, Leistungen aus dem Vermittlungsbudget, Potenzialanalyse) bereits im Vorfeld eines Arbeitsmarktzugangs gewährt werden. Diese Regelung soll entfristet und systematisch in die allgemeinen Regelungen integriert werden.
2. Seit über 20 Jahren haben wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz eingesetzt. Nun haben wir mit diesem Vorschlag die größte Reform unseres Einwanderungsrechts auf den Weg gebracht. Das ist ein großartiger Erfolg und zeigt, dass es manchmal einen sehr langen Atem braucht, bis die eigenen Ideen Mehrheiten finden und verwirklicht werden können.
In vielen Branchen und Regionen erleben wir Vollbeschäftigung und schon jetzt haben wir 1,6 Mio. offene Stellen – Tendenz steigend. Deutschlands künftiger wirtschaftlicher Erfolg und unsere soziale Sicherheit hängen wesentlich davon ab, dass wir genug Fachkräfte haben. Neben der Qualifizierung und Weiterbildung inländischer Fachkräfte und der verstärkten Anwerbung von Fachkräften aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wollen wir deshalb auch Fachkräften aus dem außereuropäischen Ausland einen erleichterten Zugang zu unserem Arbeitsmarkt ermöglichen. Das setzt ein modernes Einwanderungsrecht mit klaren und verlässlichen Regeln voraus.
Um Hürden bei der Anerkennung von Fachkräften abzubauen, sollen Qualifizierungsmaß-nahmen in Deutschland effizienter und einfacher gestaltet werden. Zum Beispiel soll der Aufenthalt zur Nachqualifizierung und Anerkennung einer im Ausland erworbenen Qualifikation mit bereits paralleler Beschäftigung im angestrebten Beruf möglich sein, wenn zur Anerkennung der Qualifikation nur geringe, insbesondere berufspraktische Teile fehlen Es gibt aber auch jetzt schon viele Menschen, die bereits in Deutschland leben und hier geduldet sind. Sie wollen arbeiten und sich einbringen, die Sprache lernen und sich integrieren. Manche stecken mitten in der Ausbildung oder dem Beruf. Es ist daher nicht sinnvoll, wenn wir mit viel Aufwand ausländische Fachkräfte anwerben und fit für den deutschen Arbeitsmarkt machen, während gleichzeitig gut integrierte und qualifizierte Geflüchtete unser Land wieder verlassen müssen. Mit dem Duldungsgesetz, das wir diese Woche ebenfalls in zweiter und dritter Lesung beraten, schaffen wir Perspektiven für gut integrierte Geduldete, damit nicht die Falschen abgeschoben werden. Auch bei der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung haben wir in den parlamentarischen Verhandlungen weitere Verbesserungen erreicht.