Rettungsschirme für die Kleinen

Ein Interview ganz im Zeichen der Corona-Krise: Der Eckernförder Bundestagsabgeordnete Sönke Rix und die in Gettorf lebende SPD-Landtagsabgeordnete, Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende Serpil Midyatli beleuchteten im Gespräch mit Redaktionsleiter Gernot Kühl die Aspekte der Pandemie und äußerten sich auch zu anderen Themen im Land.

Bild: Susanne Karkossa-Schwarz

Wie geht’s Ihnen? Die Frage ist durchaus ernst gemeint.

Sönke Rix: Ich bin gesund, und auch mein engeres familiäres und berufliches Umfeld ist noch nicht direkt betroffen.

Serpil Midyatli: Wir sind alle gesund, niemand war im Urlaub.

 

Wir erleben eine globale Infektionskrise mit dramatischen Folgen, wie es sie noch nie gegeben hat. Wie gehen Sie persönlich mit der Corona-Krise um?

Rix: Ich komme gerade vom Einkaufen für meine Eltern zurück. Ich nehme den Appell ernst, dass Risikogruppen, zu denen auch ältere Menschen zählen, möglichst zu Hause bleiben sollen. Deshalb biete ich meine Hilfe nicht nur im familiären Umfeld, sondern auch für Nachbarn und Bekannte an. Die Schule und die Kita fallen aus, nicht jeder kann eine Betreuung organisieren. Ich bin gelernte Fachkraft und habe Eltern im Eltern-Chat angeboten, im Notfall mit einzuspringen, obwohl ich ja auch gleichzeitig noch meine Arbeit als Bundestagsabgeordneter habe. Das macht es nicht einfach. Aber ich habe den Eindruck, dass es alle in ihrem Umfeld gut geregelt haben.

Midyatli: Das Wichtigste ist, sich an die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu halten. Es ist so einfach, in der jetzigen Zeit ein Held oder eine Heldin zu sein: Abstand halten und Hände waschen. Das ist nicht schwer. Jetzt ist Zusammenhalt gefordert.Wenn jeder auf jeden achtet und sich an die Empfehlungen hält, wird es einen positiven Verlauf geben.

 

Herr Rix, finden Sie, dass die Bundesregierung richtig und angemessen mit der Corona-Krise umgeht?

Rix: Da es keine Blaupause für so eine Krise gibt und wir erst am Ende wissen, wie wirksam die Maßnahmen sind, bin ich froh, dass die Bundesregierung wie auch die Landesregierungen sehr besonnen und verantwortlich damit umgehen und Tag für Tag aktuell – an die Lage angepasst – auch Entscheidungen treffen. Eine Panik muss vermieden werden, dafür gibt es auch keine Gründe. Wir müssen die Ausbreitung des Virus eindämmen und das Gesundheitssystem vor einer Überlastung schützen. Ich halte die  Maßnahmen für richtig. Jeder sollte im Moment zu Hause bleiben und das tun, was nötig ist.

 

Und die Landesregierung, Frau Midyatli? Hier sind die Kitas und die Schulen dicht, Schleswig-Holstein ist eine touristenfreie Zone. Das ist schon krass! Hätten Sie auch so entschieden?

Midyatli: Definitiv ja! Es geht darum, die Ausbreitung einzudämmen. Bei der Einschränkung des Inlandstourismus haben wir von anderen Ländern gelernt. Dort haben die Kita und Schulschließungen dazu geführt, dass die Menschen innerhalb des eigenen Landes verreist sind – das hat zur Verbreitung beigetragen. Von daher ist es absolut richtig. Die Touristen sind uns sonst immer herzlich willkommen, aber im Moment geht die Gesundheit vor. Die Vorsichtsmaßnahmen sind richtig.

 

Das dicke Ende kommt erst noch. Wissenschaftler und Ärzte sprechen von einer Infektionsquote von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung. Eine unglaubliche Zahl. Was können wir tun, dass das dicke Ende nicht ganz so dick wird?

Rix: Zusammengefasst: An die Regeln halten, das ist das Allerwichtigste. Sehr wesentlich ist angesichts von Fake News auch die Nutzung seriöser Medien. Wir sollten solidarisch sein und respektvoll mit all jenen umgehen, die aufgrund der Krise in einer besonderen Situation sind: Das medizinische Personal, Sicherheitskräfte und all jene, die vor besonderen Herausforderungen stehen, und denen wir nur danken können.

 

Viele Unternehmen erleiden gerade dramatische Umsatzeinbrüche, Existenzen und Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Wie können  die Bundes- und die  Landesregierung den Betroffenen helfen?

Midyatli: Die Fördermittel des Bundes sind für alle da. Eine besondere Herausforderung sind die Solo-Selbstständigen und die vielen Kleinstbetriebe, die nicht auf das Kurzarbeitergeld zurückgreifen können. Sie sollten mit ihren Hausbanken reden. Die Anträge für Fördermittel sollen vereinfacht werden, den kleineren Betrieben muss schnell und unbürokratisch geholfen werden. Mit der Regierung haben wir folgendes auf denWeg gebracht: Zunächst 100 Millionen Euro stehen in einem Soforthilfeprogramm für Kleinstunternehmer, kleine Gewerbetreibende und Solo- Selbstständige bereit. Zuschuss bedeutet, er muss nicht zurückgezahlt werden: 2.500 Euro sind für Solo-Gewerbetreibende und Solo-Selbständige eingeplant. 5.000 Euro für Gewerbetreibende und Selbständige mit 1 bis zu 5 Vollzeitarbeitskräften vorgesehen. Für Gewerbetreibende und Selbstständige mit bis zu 10 Vollzeitarbeitskräften stehen 10.000 Euro bereit. Zudem haben wir zusätzliche Kredite in Höhe von 300 Millionen Euro beschlossen. Im Laufe dieser Woche kann das Geld beantragt werden. Ich informiere darüber auf meiner Website und bei Facebook. Natürlich findet man auch auf den Seiten der Landesregierung alle Informationen. Bei Fragen kann man sich gernean mich wenden. Ich helfe momentan in vielen Einzelfällen.

Rix: Wir sollten auch eine staatliche Garantie für die Beschäftigtenkosten in Höhe von 75 Prozent gewähren, wie es Dänemark macht.Wir haben ja auch schon andere Rettungsschirme aufgespannt, das müsste auch für Kulturschaffende, Kleinstunternehmer, für die Gastronomie und all die, die im Kleinen wirken und deren Existenzen viel stärker gefährdet sind, möglich sein.Wir haben bisher eine sehr robuste wirtschaftliche Lage gehabt und auch gut gefüllte Kassen. Dieses Geld müssen wir für solche Hilfen nutzen.Gerade für die kleineren Betriebe, die auch wegen der Maßnahmen jetzt keine Geschäfte mehr machen können, brauchen wir diese Rettungsschirme, Fonds und garantierten Lohnkosten. Es wird eine Delle geben. Es wird Aufgabe des Staates sein, diese zu überwinden, dann wird es auch wieder bergauf gehen.

 

Wird das Land das gleiche sein wie vor der Krise?

Rix: Das hoffe ich nicht. Ich hoffe, dass wir aus den Fehlern lernen können, was beispielsweise die Ausstattung des Gesundheitssystems anbelangt. Dass wir nicht immer wieder aus falschen Sparzwängen immer weiter einsparen. Gerade solche Fragen – wie statte ich das Gesundheitssystem aus, wie schafft man es, dass der Staat wirklich handlungsfähig ist –, müssen eindeutig geklärt werden. Genauso wie die Frage, wer im Föderalismus welche Zuständigkeiten hat. Wir sollten Wege finden, dass sich Länder schneller gemeinsam und verbindlich für Regelungen aussprechen.

 

Angesichts der Corona-Krise verblasst alles andere.Da fällt es schwer, Sachpolitik zu betreiben. Welche Themen, Herr Rix, fallen Ihnen ein, die keinen Aufschub dulden und angepackt werden müssten?

Rix: Die Themen handlungsfähiger Staat und die Daseinsvorsorge gab es auch schon vor Corona, sind jetzt aber noch mehr in den Blickpunkt gerückt. Die Finanzierung der Krankenhäuser und des Gesundheitssystems, die Gewinnung und Bezahlung der Fachkräfte sind Herausforderungen. Auch die Frage des starken demokratischen Staates betrifft uns sehr stark, wenn ich an Hanau und den immer stärker werdenden Rechtsextremismus und -terrorismus denke. Wir brauchen auch dort einen starken und handlungsfähigen Staat, das betrifft die Ausrüstung der Sicherheitsorgane, aber auch die Bereiche Prävention und Bildung.

 

Frau Midyatli, bei welchen Themen sehen Sie aktuell Handlungsbedarf?

Midyatli: Der Bereich Entwicklung und Bezahlbarkeit von Wohnraum ist wichtig. Klima, Arbeit und Mobilität ebenfalls, das gehört zusammen – wie entwickeln wir Quartiere weiter oder gute Mobilitätskonzepte?

 

Ernste Sorgen muss man sich um die einst großen Volksparteien SPD und CDU machen. Die politische Mitte schrumpft, die Ränder erhaltenZulauf, zuletzt krass zu beobachten in Thüringen. Was machen CDU und SPD falsch oder was machen Die Linke und die AfD richtig?

Rix: In Thüringen ist die Linkspartei keine Partei, die am linken Rand zu verorten ist. Und in Deutschland ist nicht der Linksradikalismus, geschweige denn der Linksextremismus das Problem. Selbst die Linkspartei, die ich nicht zum linken Rand zähle, liegt bundesweit bei 6 bis 7 Prozent, während die AfD in Umfragen zweistellig ist und zur SPD aufgeschlossen hat. Was von Rechts kommt, gefährdet unsere Demokratie. Der Verfassungsschutz hat gerade festgestellt, dass große Teile der AfD rechtsextrem sind.

 

Warum hat die AfD dann so einen Zulauf?

Rix: Weil eine große Verunsicherung herrscht. Wir haben ja auch viele Umbrüche auszuhalten, von der Globalisierung ganz abgesehen. Und in gewissen Regionen gibt es größeren Zulauf, weil die Menschen dort sagen: Ihr kümmert euch um die Globalisierung, aber den regionalen Busverkehr oder Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe bekommt ihr nicht hin. Diese Diskrepanz ist da. Wir müssen bis in die kleinsten Gliederungen hinein deutlich machen, dass wir als Staat handlungsfähig sind und nicht alles dem Markt überlassen. Die AfD mit ihren 15 Prozent ist gegenüber den demokratischen Parteien aber eindeutig die Minderheit, auch das muss man feststellen. Wir arbeiten daran, deren Wähler wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen.

 

In der Region Eckernförde-Gammelby-Kosel geht die Angst vor einer Bauschuttdeponie um. Die Gegner befürchten eine Gefährung des Grundwassers und negative Folgen für die Gesundheit der Anwohner, das Landschaftsschutzgebiet, den Biotopverbund und den Tourismus. Worauf kommt es in diesem Verfahren besonders an?

Midyatli: Der Antrag ist noch nicht gestellt. Wir brauchen völlige Transparenz. Wenn man möchte, dass verantwortlich gehandelt und entschieden wird, muss klar sein, was genau der Betreiber vorhat.

 

Der Ausbau der Windenergie ist fast zum Erliegen gekommen. Es fehlt an Leitungen und Speichermöglichkeiten. Dabei ist die Ressource Wind eine Riesenchance für das Land, Vorreiter zu werden, wenn man die Bürger mitzunehmen versteht. Wie beurteilen Sie die Perspektiven?

Midyatli: Die Windbranche wartet auf die Regionalpläne. Und wir müssen unsere Klimaschutzziele erreichen. Wir waren mutig und haben vor der Wahl gesagt, wo wir Windkrafträder bauen wollen und haben Regionalpläne veröffentlicht. Daniel Günther hat versprochen, er wolle es ganz anders und viel besser machen. Nichts ist passiert, wir haben den absoluten Stillstand. Wir haben Arbeitsplätze verloren und Investoren sind unsicher. Es müssen Entscheidungen getroffen werden. Die Regionalpläne werden nicht alle zufrieden stellen können. Man kann nicht „Fridays for Future“ toll finden und Klimaschutzziele einhalten wollen, und gleichzeitig Windräder vor der eigenen Haustür ablehnen. Wir brauchen gute, ausgewogene Pläne, die man argumentativ gut vertreten kann.

Rix: Wir können die Klimaschutzziele nicht einhalten und gleichzeitig erwarten, dass niemand davon berührt wird. Wir müssen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren und mutig sein, zu diesen Entscheidungen zu stehen.

 

Erschienen in der Eckernförder Zeitung am 24.03.2020