In meinem persönlichen Umfeld erlebe ich, dass Menschen allmählich ungeduldig werden und wieder mehr Eigenverantwortung einfordern. Ich kann das verstehen. Durch die Einschränkungen und das vorbildliche Verhalten der meisten Menschen ist es gelungen, dass die Pandemie in Deutschland bei weitem nicht so dramatische Ausmaße angenommen hat, wie in vielen anderen Ländern. Dafür mussten wir alle massive Einschränkungen hinnehmen und ich glaube, es haben so viele Menschen mitgezogen, weil die Landesregierungen dabei Maß und Mitte gefunden haben.
Ich meine, in erster Linie haben die Verantwortlichen das Wohl derer zu berücksichtigen, die zu den Schwächeren in unserer Gesellschaft zählen. Das Wohl von Kindern hängt auch davon ab, ob sie Kontakt mit anderen Kindern haben, und daher halte ich eine schrittweise Öffnung der Spielplätze, Kitas, Grundschulen und Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit für besonders erstrebenswert. Auch Menschen in Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen müssen vorsichtig geöffnet werden, um der Isolation und Vereinsamung entgegenzuwirken.
Und natürlich müssen wir neben gesundheitlichen und sozialen Folgen auch beachten, dass z. B. die gastronomischen Betriebe und alle, die vom Tourismus leben, nicht nur nach mehr Hilfen rufen, sondern auch nach einer Perspektive. Es ist richtig, dass alle Einschränkungen ständig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Dass muss aber nach einer klaren Exit-Strategie mit nachvollziehbaren Kriterien geschehen. Das, was wir in diesen Tagen erleben, hat mit einer klaren Exit-Strategie nicht viel zu tun. Einzelne Ministerpräsidenten scheren aus, preschen vor und haben nach meinem Eindruck einen ungesunden Wettkampf eröffnet: Wer schafft die besten Lockerungsübungen? Neben vielem anderen müssen wir uns nach der Pandemie auch fragen, ob unser föderalistisch geprägtes Infektionsschutzgesetz den Anforderungen genügt.
Fakt ist: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Es gibt noch keine Behandlungsmethode und keinen Impfstoff. Auch wenn an beidem mit Hochdruck geforscht wird, stehen wir doch noch mit leeren Händen da. Deshalb gibt es nicht nur die Ungeduldigen, sondern auch diejenigen, die sich große Sorgen darüber machen, dass wir zu früh, zu schnell, zu nachlässig werden.
Erschienen als „Bericht aus Berlin“ in der Eckernförder Zeitung am 06.05.2020 zur Fragestellung: „Corona und kein Ende: Welche Ausstiegsperspektiven sind realistisch, und welche Schlüsse lassen sich schon jetzt aus der Krise ziehen?“