Zielgenaue Sanktionen

Im Fall des mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergifteten russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny stellen sich unangenehme Fragen an die russische Regierung. Es gibt bislang keinen Beweis dafür, dass diese in den Mordanschlag verwickelt ist, vielleicht wird es einen solchen Beweis auch nie geben.

Bild: Merlin Nadj-Torma

Aber zu Recht erwähnen erfahrene Außenpolitiker, dass alle Umstände auf eine ungute Tradition im Umgang des Kremls mit seinen Kritikern hinweisen. Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass so etwas ohne zumindest eine Duldung der politischen Führung passiert. Jedenfalls ist dieser Anschlag mit einem international verbotenen tödlichen chemischen Kampfstoff begangen worden – ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht.

Mit Ausnahme der Partei die Linke und der AfD ist sich die Politik einig, dass dieser Anschlag Folgen haben muss für das Verhältnis der Europäischen Union zu Russland. Mit dieser Überschrift endet allerdings schon die Einigkeit.

Ich bewundere die Geschwindigkeit, mit der manche Kollegen oder Kolleginnen sich ein umfassendes Bild von der Lage gemacht haben und in Nullkommanichts der Öffentlichkeit die aus ihrer Sicht angemessenen und wirksamsten Reaktionen präsentieren. Zumal der fragwürdige Umgang mit Oppositionellen in Russland hinlänglich bekannt ist. Hier kann man die Frage stellen, ob der Anschlag auf Nawalny nicht auch zur Durchsetzung anderer Interessen benutzt werden soll.

Ich erwarte, dass es zeitnah Reaktionen aus Moskau geben wird, die wir dann bewerten können. Im Lichte dessen wird die Bundesregierung mit unseren europäischen Partnern beraten, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Das kann dann auch eine – wie manche fordern – klare und harte Linie sein. In erster Linie sollten Sanktionen – wenn man sich dafür entscheidet – aber möglichst zielgenau wirken. Eine Sanktionspolitik, wie sie US-Präsident Donald Trump derzeit betreibt, ist für mich jedenfalls keine Option.

Inwieweit ein Baustopp für die Gaspipeline von Russland nach Deutschland eine angemessene und zielgenau wirkende Sanktion ist, sollte dann auch sorgfältig diskutiert werden. Zu Recht weist der Außenminister darauf hin, dass an Nord Stream 2 mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt sind, etwa die Hälfte davon aus Deutschland. Dazu kommt, dass Nord Stream 2 ein notwendiges Infrastruktur- und Energieversorgungsprojekt darstellt, dessen Ende uns möglicherweise empfindlicher treffen würde, als Russland selbst.

 

Erschienen als „Bericht aus Berlin“ in der Eckernförder Zeitung am 09.09.2020 zur Fragestellung: „Der Giftanschlag auf Alexej Nawalny und die Folgen: Welche Konsequenzen sollen Deutschland und die EU ziehen?“