Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag festgelegt, die Plätze in den Freiwilligendiensten nachfragegerecht auszubauen, das Taschengeld zu erhöhen und die Teilzeitmöglichkeiten zu verbessern.
Auch die Debatte zur Wiedereinführung der Wehrpflicht ist eine Debatte zur Unzeit und hilft in der akuten Situation nicht weiter. Die Wehrpflicht lässt sich zudem nicht von einem Tag auf den anderen reaktivieren – die zivilen und militärischen Strukturen dafür liegen seit über zehn Jahren auf Eis. Zusätzlich wären rechtliche Fragen zu klären, etwa inwieweit dann auch Frauen von einer Wehrpflicht erfasst werden würden.
Zu schön wäre es zudem, wenn die angeblich egoistische Generation durch die Ableistung eines Pflichtjahres die Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt übernehmen würde. Und wenn die Mitglieder dieser Generation quasi en passant zu besseren Menschen werden würden. Auch dies wird oft als Argument für eine allgemeine Dienstpflicht angeführt. Wenn es einzig und allein eines sozialen Pflichtjahres bedürfte, um unsere Gesellschaft sozialer, rücksichtsvoller und insgesamt besser zu machen, könnten wir uns zahlreiche politische Initiativen im Bereich Familie, Arbeit und Soziales sparen.
Doch Gemeinsinn kann nicht erzwungen werden. Daher halte ich jegliche Forderung nach einem Pflichtdienst für rückwärtsgewandt. Der Ruf nach einem sozialen Pflichtjahr ist kein neuer. Der CSU-Abgeordnete Stefan Müller forderte 2006 einen Pflichtdienst für alle Langzeitarbeitslosen. Und auch aus den Reihen der Sozialdemokraten werden in unregelmäßigen Abständen immer wieder die Stimmen laut, die einen sozialen Pflichtdienst für durchaus sinnvoll halten.
Bereits die Erfahrungen aus dem Zivildienst haben gezeigt, dass etwa die Hälfte der Dienstleistenden durch den verpflichtenden Wehr- und Zivildienst eine ungewollte Verschiebung der Ausbildung oder Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses hinnehmen mussten. Auch im Hinblick auf den demografischen Wandel wäre ein solches Pflichtjahr fatal. Denn die Gründung einer Familie kann bereits heute durch Ausbildung, Studium, Beruf oder die Pflege Angehöriger erschwert werden. Insbesondere Frauen hätten unter einem solchen Dienst zu leiden, sind doch in der Praxis sie es, die ihre Karriere der Familie und Pflege der Angehörigen unterordnen. Es steht zu befürchten, dass sich eine weitere Überfrachtung der Lebensabschnitte junger Menschen unmittelbar auf die Geburtenzahlen auswirken würde.
Hinzu kommt: Ein Pflichtdienst lässt sich mit unserem Verständnis von einer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung nicht in Einklang bringen. Es bestehen internationale Vereinbarungen, an die die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich gebunden ist: Nach Artikel 4 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) darf niemand „gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten“.
Ein allgemeiner Pflichtdienst ist ein Eingriff in die individuelle Freiheit und in das Recht auf freie, selbstbestimmte Entfaltung. Es gibt keinen Zwang zur Solidarität. Von der Bürgerpflicht sollten wir uns distanzieren. Es gibt aus meiner Sicht keine Pflicht zur gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme.
Schließlich – und das ist meiner Meinung nach der ausschlaggebende Punkt – können wir davon ausgehen, dass die Motivation, sich ein Jahr lang zu engagieren, wesentlich höher ist, wenn die Entscheidung dazu freiwillig gefällt wurde. Dann wird das Engagement ein positiver Impuls für die Gesellschaft sein.
Es ist fraglich, ob ein Pflichtdienst nicht sogar dazu führt, dass gar kein Ehrenamt mehr angestrebt wird. Denn der gesellschaftliche Beitrag könnte bereits als geleistet angesehen werden. Ohne ihn ist jedoch eine von Gemeinsinn getragene demokratische Gesellschaft nicht denkbar.
Mehr noch, Menschen, die gezwungen werden, ihren Dienst in Pflegeeinrichtungen und Kitas zu leisten, tragen zu einer Entprofessionalisierung von Pflege- und Erzieherberufen bei. Qualifizierte Fachkräfte könnten von Pflichtdienstleistenden verdrängt werden. Welche Eltern wollen ihre Kinder von Menschen betreut wissen, die zur Betreuung gezwungen werden? Und wollen sich Senioren oder Menschen mit Behinderungen von Männern und Frauen versorgen lassen, die viel lieber mit ihren Freunden an der Bushaltestelle herumlungern würden? Welche Wohlfahrtseinrichtung, deren Aufgabe der positive Dienst am Menschen ist, möchte junge Erwachsene beschäftigen, die kein Interesse an sozialer Arbeit haben? Wer betreut die Rechtsextremen, Hooligans und Salafisten, die dann auch einen Dienst absolvieren müssten?
Wir wollen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft die Bereitschaft zum Engagement fördern und es nicht mit einem Pflichtdienst erzwingen. Bereits heute gibt es mehr Interesse an Bundesfreiwilligendienst und Freiwilligem Sozialen Jahr, als Stellen. Die Bereitschaft, sich zu engagieren ist da und sie ist groß. Deutschland braucht keine allgemeine Dienstpflicht und erzwungenes Engagement um füreinander einzustehen.
Zu der für den Deutschlandfunk aufgezeichneten Sendung „Ploß versus Rix: Brauchen wir eine allgemeine Dienstpflicht?“ geht es hier.